Tage der Industriekultur – Familientreffen im Akkord

kiz, 02. März 2009

(Foto: FR/Oeser)In der alten Braun-Fabrik im Frankfurter Gallus herrscht mehr Wiedersehensfreude als Industriekultur.
VON KRISTIANE SCHENGBIER

Multimix und Multipress, Schneewittchensarg und Knäckebrot – wenn ehemalige Mitarbeiter der Firma Braun aufeinander treffen, dann natürlich zwischen Küchen-, Blitz- und Phonogeräten mit klangvollen Namen im Charme der 50er Jahre. Was als Programmpunkt innerhalb der Tage der Industriekultur geplant war, die in der vergangenen Woche den Bewohnern des Rhein-Main-Gebiets neue Einblicke in Kraftwerke, Brauereien oder Kläranlagen ermöglichten, erinnert am Samstag ein wenig an ein Klassentreffen für Hochbetagte: Gemeinsam geschuftet, gemeinsam gefeiert.

In der alten Braun-Fabrik in der Idsteiner Straße im Frankfurter Gallus ist da die Wiedersehensfreude groß, wenn die ehemalige Spulenwicklerin nach vielen Jahren wieder einmal mit dem Betriebsrat aus den 70er Jahren plaudert, die Zeichnungsverwalterin auf die Sachbearbeiterin aus der Personalstelle trifft, die dort auch schon in den 50er oder 60er Jahren gearbeitet hat. So genau weiß das mancher nicht mehr, aber die Erinnerungen kommen wieder.

"Ich wurde an dem Tag eingestellt, als der alte Braun an einem Herzinfarkt starb", gibt die mittlerweile 90-jährige Hedwig Klee, die immer noch in der Nachbarschaft wohnt, an diesem Nachmittag mehrfach zum Besten. "Der Chef hat geschrien und getobt und dann habe ich durch die Scheiben des Büros nur noch gesehen, wie er zusammengebrochen ist."

 

Bilanz

Die Tage der Industriekultur Rhein-Main haben mit ihrem Programm rund ums Thema Energie etwa 12.400 Teilnehmer angezogen. Damit sei ein neuer Besucherrekord aufgestellt worden, teilten die Veranstalter am Sonntag in Frankfurt mit. Im Vorjahr waren 11.000 Menschen gekommen. Geboten waren 222 Veranstaltungen an 132 in Frankfurt und Region.
Das war am 6. November 1951, rekonstruiert sie mit Clementine Weiland, die 26 Jahre Spulen im Akkord wickelte und später für die Lohnabrechnung zuständig war. Und auch Franz Heurich weiß noch viel von diesen alten Zeiten. Unterm Arm trägt der ältere Herr mit dem breiten Lächeln ein großes Fotoalbum, das von beinahe ausschweifenden Jubilarfeiern zeugt. "Die Firma war sehr sozial eingestellt. Während andere nur drei Einrichtungen hatten, gab es bei uns 20", sagt er. Frauen hätten schon damals die gleichen Möglichkeiten wie die männlichen Kollegen gehabt, es gab Kindergartenplätze, Fortbildungsangebote und an Fastnachtdienstag sowie Wäldchestag natürlich Urlaub.

Zu den Jubilarfeiern durfte der jeweilige Mitarbeiter 15 Kollegen einladen und dann sei den ganzen Tag gefeiert worden. "Wir waren immer eine große Familie", beschreibt Horst Kaupp, heute noch Manager des Braun-Archivs in Kronberg, die Arbeit mit dem ausgeprägten Wohlfühlfaktor. Engagiert bei der Sache sind die ehemaligen Mitarbeiter wirklich alle. Dass diese Freude an Leben, Arbeit und alten Freundschaften an diesem Tag noch einmal in den ehemaligen Werkshallen aufleben darf, ist allerdings dem Engagement der Geschichtswerkstatt Gallus und des KIZ Mehrgenerationenhauses zu verdanken. "Das ist nun unsere erste gemeinsame Veranstaltung und wir sind sehr froh, dass sie so gut angenommen wird.

"Viele ehemalige Mitarbeiter, aber auch junge Leute, die sich für das kulturelle Gut unseres Stadtteils interessieren, sind eine tolle Mischung", sagt Christian Spoerhase, Quartiersmanager im Gallus-Viertel. Die nächsten Projekte seien da schon in Vorbereitung: Im nächsten Jahr steht unter anderem ein Radrennen mit alten Industriefahrrädern an.

Aus: FR-online.de 08.2008