Alte Fabrik — neue Chancen
Im Mehrgenerationenhaus des KIZ wird Bildung großgeschrieben
Der Verein „Kinder im Zentrum Gallus" (KIZ) setzt sich seit vielen Jahren dafür in, die Bildungschancen der Kinder von Zuwanderern zu verbessern. Jetzt stellt der Verein, der vor 30 Jahren von spanischen Migranten und Studierenden der Goethe-Universität gegründet wurde, seine Arbeit auf eine breitere Basis. Er hat in einem früheren Fabrikgebäude im Frankfurter Gallusviertel ein Mehrgenerationenhaus eröffnet, das zur Begegnungsstätte für die Bewohnerinnen und Bewohner des Stadtteils werden und die IIntegration fördern soll.
Im Gallus im Frankfurter Westen hat rund die Hälfte der Bevölkerung einen Migrationshintergrund. Das Leben vieler Familien ist geprägt von schlecht bezahlter Arbeit oder Arbeitslosigkeit, Armut, beengten Wohnverhältnissen und vielfältigen sozialen Problemen. Kinder, die unter diesen Bedingungen aufwachsen, sind oft nicht ihrem Alter entsprechend entwickelt, häufiger krank und können in der Schule oft nicht mithalten. Nur wenigen gelingt es, einen Beruf zu erlernen, der ihnen eine bessere Zukunftsperspektive eröffnet. Daran will KIZ etwas ändern. Seit 1998 bietet der Verein in seinem Domizil an der Sulzbacher Straße für Kinder, die vorwiegend aus Migrantenfamilien kommen, Hausaufgabenbetreuung, sozialpädagogische Lernhilfe, offene Spielgruppen und unterschiedlichste Projekte zur Freizeitgestaltung sowie Berufsorientierung an. In altersgemischten Kinder-und Jugendgruppen wird soziales Lernen großgeschrieben. Nach dem Genderkonzept können die Kinder und Jugendlichen in getrennten Jungen-und Mädchengruppen Fähigkeiten entdecken und erproben, die von den gewöhnlichen Rollenklischees abweichen. IIm pädagogischen Konzept des interkulturellen KIZ-Teams wird der Stärkung der Sprachkompetenz zudem ein wichtiger Stellenwert eingeräumt. „Sprache ist Heimat", heißt die Devise, nach der sowohl Lernangebote in der Muttersprache der Herkunftsfamilien als auch in Deutsch konzipiert werden. Das Angebot kommt nicht nur bei den Kindern gut an. Auch zu vielen Eltern ist im Laufe der Jahre ein enges Vertrauensverhältnis gewachsen. Sie beraten sich mit den Pädagoginnen und Sozialarbeiterinnen nicht nur in Erziehungs- und Schulfragen, sondern treffen sich auch in Koch- und Schachgruppen oder nehmen an Deutschkursen teil.
Zum Angebot des KIZ-Mehrgenerationenhauses gehört auch das Projekt Schulstart: Es soll den gelungenen Schulstart von Kindern fördern. Das Projekt baut auf drei Säulen auf und wird in Kooperation mit drei Grundschulen im Frankfurter Gallusviertel angeboten.
Erste Säule ist die Begleitung von Eltern während des ersten Schuljahres ihres Kindes. Sie erfahren bei Info-Veranstaltungen, wie sie ihr Kind in seiner schulischen Entwicklung unterstützen können, wo es Rat und Hilfe gibt. Zudem können sie bei Treffen mit anderen Eltern Erfahrungen austauschen. Gefördert wird dies vom hessischen Sozialministerium.
Zweites Standbein ist PEFF. Hinter diesem Kürzel verbirgt sich das Projekt „Partizipation und Empowerment für Familien in Frankfurt". Zweimal wöchentlich treffen sich Schulkinder nach dem Unterricht in Kleingruppen und erkunden mit ihren Eltern die Stadt. Sie besuchen beispielsweise die Feuerwehr und kulturelle Einrichtungen, erfahren aber auch Wissenswertes über leckere und gesunde Ernährung oder wie wichtig Bewegung für die Gesundheit ist. Finanziert wird dieses Angebot aus dem Etat des Sozialrathauses Frankfurt.
Die dritte Säule ist die Arbeit mit Lehrerinnen und Lehrern. Sie zielt darauf ab, die Strukturen zu verändern, die einer besseren Bildungsbeteiligung von Migrantinnen und Migranten häufig entgegenstehen, wie KIZ-Fachleiterin Ursula Werder betont. Mit Unterstützung der Hessischen Gemeinschaftsinitiative Soziale Stadt soll untersucht werden, wie die Bildungschancen von Kindern aus Migrantenfamilien gezielt verbessert werden können. Dazu soll auch ein Dialog mit Schulen, Schulträgern und der Politik geführt werden.
Aktionsprogramm Mehrgenerationenhäuser
In Deutschland gibt es derzeit fast 500 Mehrgenerationenhäuser – etwa jedes fünfte gehört dem Paritätischen an. Damit hat der Verband in der zweiten Ausschreibungsrunde, die im Mai 2007 endete, seinen Anteil noch einmal verdoppeln können. In der ersten Runde waren 50 Träger in das neue Förderprogramm des Bundesfamilienministeriums aufgenommen worden. Ende November waren es 94. Die paritätischen Mehrgenerationenhäuser spiegeln die Vielfalt des Aktionsprogramms wider. Sie setzen in ihrer Arbeit sehr unterschiedliche Schwerpunkte und machen verschiedenste Angebote. Diese reichen von Unterstützungen für Familien und offener Kinderbetreuung über den täglichen Mittagstisch bis hin zu Beratungen zu diversen Themen. Auch Generationen übergreifende Angebote und Integrationsarbeit mit Migrantinnen und Migranten gehören dazu.
Wie erfolgreich die paritätischen Projekte arbeiten, zeigt auch der Blick auf die „Leuchtturmhäuser". Diese wurden von der Serviceagentur Mehrgenerationenhäuser ausgewählt, weil sie sich durch besonders gute Ideen für bestimmte Arbeitsbereiche auszeichnen, beispielsweise für das einfallsreiche Angebot an haushaltsnahen Dienstleistungen oder die erfolgreiche Kooperation mit lokalen Unternehmen. Auch mehrere der Leuchtturm häuser, die diesen Status für ein halbes Jahr verliehen bekommen, gehören zum Verband.
Ziel des Aktionsprogramms Mehrgenerationenhäuser ist es, den Zusammenhalt zwischen den Generationen auch außerhalb der Familien zu stärken. Die gesellschaftliche Kompetenz soll gefördert, wirtschaftliche Fähigkeiten sollen aufgebaut und verfestigt werden.
Familienrestaurant in der früheren Kantine
Auf diesem Fundament baut KIZ nun sein Mehrgenerationenhaus in der alten Braunfabrik an der Idsteiner Straße auf. In der ehemaligen Kantine ist Platz für ein Familienrestaurant, in dem es ein leckeres, gesundes und preiswertes Essen gibt. In anderen Fabrikräumen soll in Kooperation mit einem Pflegedienst Tagespflege für ältere Migrantinnen und Migranten eingerichtet werden. Ein Frauenlädchen und eine Servicestelle für haushaltsnahe Dienstleistungen erweitern das Angebotsspektrum des Mehrgenerationenhauses. Dort können interessierte Frauen im Rahmen des EU-geförderten Xenos-Projektes ihre Geschäftsideen umsetzen – von der Nähstube über das Catering-Unternehmen bis hin zum Geburtsvorbereitungskurs der Hebamme und der musikalischen Früherziehung. Unterstützt werden die Existenzgründerinnen dabei durch Deutschkurse und unterschiedlichste Bildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen, die in Kooperation mit zwei Frankfurter Vereinen organisiert werden: den Frauenbetrieben und Berami. Außerdem wurden im Rahmen der Aktion „Erfahrung ist Zukunft" mit Haustechniker Franz Deak, Musikpädagoge und Computerfachmann Roland Hess und Köchin Lili Gress-Keck drei ABM-Kräfte eingestellt, die den Frauen mit ihrem beruflichen Know-how wertvolle Hilfe bieten können.
Zargoona Ghaussy, die aus Afghanistan stammt und seit 13 Jahren in Deutschland lebt, möchte im Mehrgenerationenhaus demnächst einen Nähkurs anbieten. Sie selbst hat das Nähen bei der Lehrerkooperative, einer weiteren Mitgliedsorganisation des Paritätischen, gelernt. Nun möchte sie ihre Kenntnisse gerne an andere Frauen weitergeben. Ihre kleinen Töchter Jasmin und Shina weiß sie währenddessen in der neuen Kita im Mehrgenerationenhaus gut versorgt. Dorthin will auch Vildan Sahin-Kendibilir ihren Sohn Yussuf-Sani bringen, wenn sie für das Catering-Unternehmen arbeitet, das sie gemeinsam mit zwei anderen Frauen aufbaut. Die 34-Jährige hat schon als Kind das KIZ in der Sulzbacher Straße besucht. „Meine Eltern gingen beide arbeiten, da war ich froh, wenn ich nach der Schule dort hingehen konnte. Und meine Eltern wussten mich gut aufgehoben." Das KIZ blieb für sie ein wichtiger Bezugspunkt: „Erst war ich in der gemischten Gruppe, dann in der Mädchengruppe, später in der Frauengruppe und dann in der Kochgruppe." Nach dem Fachabitur hat sie Berufserfahrung in Wirtschaft und Verwaltung gesammelt, jetzt will die junge Mutter mit ihrer Leidenschaft fürs Kochen Geld verdienen und so auch das Angebot des Mehrgenerationenhauses erweitern. Den ersten großen Auftritt haben sie und ihre beiden Kolleginnen bereits gemeistert: Bei einem Treffen von rund 80 Vertreterinnen und Vertretern von Mehrgenerationenhäusern aus ganz Deutschland übernahmen sie die Versorgung mit Köstlichkeiten aus der türkischen Küche.
Aus: Der Paritätische 01.2008